Unsere Gummistiefel am Ende der Reise
Die Reise in den Süden des Departamento Bolívar war eine der vermutlich abenteuerlichsten Reisen, die ich bisher in meinem Leben gemacht habe. Der Anlass war eine zweitägige Versammlung der Minenarbeiter in diesem vor allem von der Goldgewinnung aus kleinen Minen und Landwirtschaft geprägten Abschnitt Kolumbiens. Der „Sur de Bolívar“ ist von einer bis zu 2300 m hohen Bergkette geprägt und ist eine niedrig besiedelte, schlecht zugängliche Region. Davon, dass hier das von der Menschheit so heiß begehrte Metall Gold abgebaut wird, merkt man dem Lebensstil der BewohnerInnen der kleinen Minendörfer nicht viel an. Es fehlt an Infrastruktur, medizinischer Versorgung und Bildung. Das große Goldvorkommen wird bisher von kleinen selbstständigen Minenarbeitern abgebaut, die von dem Wert des verkauften Goldes leben.
"La Teta" (die Titte) Symbol des Sur de Bolívar, wird mit Stolz gezeigt, sobald sie sichtbar ist. "pornografia geografica"...
Seitdem Ende der 90er Jahre die internationalen Goldminenbau-Unternehmen Conquistador Mines und Anglo-American in die Gegend einzogen, wurden tausende der dort lebenden Menschen von Paramilitärs ermordet oder vertrieben. Heute ist die Existenz der mineros von dem Goldminen-Riesen Kedahda (ein Tochterunternehmen von des schon berüchtigten multinationalen Konzerns Anglo Gold Ashanti), bedroht, der bereits Konzessionen in dem Gebiet erworben hat und seine unterirdischen Naturschätze im ganz großen Stil ausbeuten will. Die Gewinne dieses Abbaus würden allerdings nicht in kolumbianische Taschen, und schon gar nicht in die der breiten Bevölkerung fließen. Lediglich fünf Prozent des Gewinns soll dem kolumbianischen Staat oder besser den Oligarchen, die dieses Land regieren, gezahlt werden, worin schon die „Entschädigung“ für die enormen anzunehmenden Umweltschäden mit eingeschlossen sind. Der grosse Rest flösse direkt ins Ausland. Für die Minenarbeiter und ihre Familien bedeutet dies den drohenden Verlust ihrer Lebensgrundlage sowie die Zerstörung ihres Lebensraumes. Bisher konnten sie sich gegen diese Pläne wehren, indem sie sich in der Federation der Agro- und BergbauarbeiterInnen des Südens von Bolívar – FEDEAGROMISBOL organisieren. Gemeinsam und in nationaler wie internationaler Vernetzung leisten sie Widerstand gegen die Freigabepläne der kolumbianischen Regierung an multinationale Unternehmen, bauen in mühsamer Arbeit die Muliwege zu ihren Dörfern zu motorisiert befahrbaren Wegen aus, gründen und unterhalten eine Schule – kurz kämpfen „por una vida digna y la permanencia en el territorio“ (für ein würdevolles Leben und ein Weiterbestehen in ihrem Territorium).
Diese Organisation ist von staatlicher Repression nicht verschont. „lideres sociales“ – Führungspersönlichkeiten der Organisationen der Region werden von Soldaten der kolumbianischen Armee außergerichtlich erschossen, wie zum Beispiel Alejandro Uribe Chacon am 19. September 2006, also genau vor zwei Jahren. Zum Anlass seines zweiten Todestages wurde die Versammlung der mineros in San Pedro Frio abgehalten, die Ziel unserer Reise war. Der Mord an Alejandro Uribe löste vor zwei Jahren einen mehrtägigen Aufstand von 1300 mineros in der nächst gelegenen Stadt Santa Rosa aus, infolgedessen es zu einem Abkommen zwischen ihnen und der Regierung kam, nach dem dieser Fall juristisch aufgeklärt werden sollte. Dies ist bisher innerhalb von zwei Jahren nicht geschehen, die Täter bleiben unbestraft, und das gleiche Batallon, das Alejandro vor zwei Jahren erschoss, ist noch jetzt im Sur de Bolívar stationiert. Dies stellt eines von unzähligen Beispielen für die dem kolumbianischen Konflikt typischen impunidad dar – der Straflosigkeit der TäterInnen.
Andere wichtige Persönlichkeiten der Federation mussten aus Sicherheitsgründen die Region verlassen, wie Teo und Gabo, die wir als Teil mehrerer internationaler und nationaler BegleiterInnen nun auf dem Weg zu der Versammlung von FEDEAGROMISBOL begleiten, nachdem sie aufgrund der für sie bestehenden Gefahr mehr als ein Jahr dieses Gebiet nicht mehr besuchen konnten.
Mittwochabend (17. September) begann unsere recht lange Anreise in Bogotá. Elf Stunden über Nacht fuhren wir bis Aguachica, von dort weiter mit dem Taxi nach Gamarra, einem schönen, kleinen und schon sehr heißen Ort am Rio Magdalena. Von dort geht es etwa eineinhalb Stunden weiter auf einem Schnellboot den Fluss aufwärts bis Santa Rosa, wo wir die Nacht auf Freitag in einem kleinen bescheidenen Hotel und in schon beträchtlicher Hitze verbringen.
Ort am Rio Magdalena
In unserem Hotel in Santa Rosa
Am nächsten Tag geht es weiter in starken Geländewagen den Berg hinauf. Unser Ziel ist das kleine Goldminendorf San Pedro Frio (wie der Name schon vermuten lässt, raus aus der Hitze), wo Freitag und Samstag das Asamblea stattfinden soll. Vor einem Jahr reichte der befahrbare Weg nur bis vier Fußstunden vor San Pedro Frio. Jetzt bleibt uns nur noch eine Stunde zu laufen. Ohne Gummistiefel ist hier kaum etwas zu erreichen, der Weg ist vom vielen Regen aufgeweicht, so dass wir in knöcheltiefem Schlamm den Berg hochstraucheln. Ich schalte auf konzentrierten Durchhaltemodus, kann kaum die atemberaubende Wildnis rechts und links von mir wahrnehmen, sondern prüfe nur die Tiefe des Schlammes unter meinem nächsten Fußtritt.
am Wegesrand
Durchgeschwitzt und dreckig erreichen wir San Pedro Frio, ein für mich völlig unwahrscheinlicher Ort nahe einer der Goldminen, über und in den Wolken, wo die Menschen nach meinen Vorstellungen in großer Armut leben. Die Häuser sind komplett aus Holzbrettern, Plastikplanen und Wellblech gezimmert. Toilettenspülung und Dusche funktionieren mit kleinen Plastikeimern, mit denen man das Quellwasser über die Kloschüssel oder dein eigenen Körper schöpft. Gekocht wird auf Holzfeuer. Es ist ein Ort der Gummistiefel, alle BewohnerInnen von klein bis groß stapfen damit durch den allgegenwärtigen rötlichen Schlamm, den sie kaum noch zu bemerken scheinen.
San Pedro Frio
San Pedro Frio. Seltene Momente im Sonnenschein
Goldmine bei San Pedro Frio
Zwei Jungs vorm Fenster
Auf dem kleinen „Dorfplatz“ wird ein Regendach aus Plastikplanen gebaut, worunter die zweitägige Versammlung stattfindet.
überdachter "Dorfplatz" von San Pedro Frio
Der Platz ist gesäumt von erstaunlich bunt ausgestatteten kleinen Läden, wo alles Mögliche von Gummistiefel bis sogar frischen Früchten verkauft wird. Ein Glück für mich, denn sonst müsste ich zum Frühstück, Mittag- und Abendessen Reis mit Kartoffel und Yucca essen – das Fleisch, was zu dem hier üblichen Mahl dazu gehört, verschenke ich aus Gewohnheit (eigentlich moralisch nicht unbedingt nötig - ich sehe hier nur glücklich, frei grasende Tiere) an fleischhungrigere compañeros.
Die "Volksküche" in der die vielen Gäste der Versammlung morgens, mittags und abends mit Fleisch, Reis und Yuca bekocht werden. Es kann einem passieren, dass man mit dem heissen Teller in der Hand im Schlamm davor steckenbleibt. - Die umstehenden Leute halfen mir, in dem sie an meinem Hosenbein zerrten, den Fuss wieder freizubekommen... :)Kinder, Hunde und Mulis prägen das Dorfbild. Mulis stellen hier das wichtigste Transportmittel dar. Schwerbeladen ermöglichen sie sowohl die bunte Warenfülle in den kleinen Läden von San Pedro Frio, als auch den Abstieg von schwangeren Frauen, die auf ihren Rücken etwa fünfzehn Tage vor der erwarteten Niederkunft ins nächste Dorf mit medizinischer Versorgung reisen müssen.
"Getränkemuli" auf dem Weg nach San Pedro Frio
Zwei Tage und zwei Nächte verbringen wir hier. Ich bin sprachlos und beeindruckt. Könnte mir ein Leben an diesem Ort niemals vorstellen. Es erscheint mir absurd, dass sich Menschen unter diesen gegebenen unwirtlichen Bedingungen ihr Zuhause einrichten. Aber genau das tun sie, und zwar mit respekteinflößender Entschlossenheit, genau um diesen Lebensraum zu kämpfen.
Asamblea FEDEAGROMISBOL
Asamblea von FEDEAGROMISBOL
Gedenkreden für den ermordeten Alejandro Uribe Chacon. Chor: "Alejandro? - Presente! Presente! Presente! Hasta cuando? Hasta siempre! Hasta siempre! Hasta siempre!"
Ich wohne den verschiedenen Reden und Gesprächen der Versammlung bei, verstehe aber noch nicht viel. Bemerke nur verdrossen, dass die Teilnahme von Frauen an den Diskussionen quasi nicht vorhanden ist. Der für Kolumbien typische machismo ist hier unübersehbar. Die Frauen sitzen dabei, mit ihren Kindern auf dem Schoß, oder bleiben in den Häusern und Küchen, um die Familien und die zahlreichen Versammlungsgäste zu versorgen... Neben Matsch, grauem Himmel, kühlem Klima und der Gesellschaft von Kakerlaken ist dies ein weiterer Grund für mich, diesen Ort einfach nicht wirklich sympathisch finden zu können. – Was meinem Staunen dennoch keinen Abbruch tut. Daisy backt im Halbdunkel die von mir sehr geliebten Arepas (süssliche Fladen aus verschiedenen Getreide)
Unermüdliche Köchin in der Gästeküche
Hier zur unglaublichen Dokumentation: eine Kolumbianerin (costeña - von der Küste), die fast so gross ist wie ich!
Einige sehr wenige schaffen es auch OHNE Gummistiefel in San Pedro Frio. Weiss nicht, wie...
Sonntag früh halb sechs bricht unsere Gruppe wieder auf. Der Schlamm ist noch tiefer, es hat in der Nacht viel geregnet. Die Autofahrt zurück nach Santa Rosa ist ein einziges Abenteuer, wir überleben es glücklich dank einem sehr virtuosen Wagenlenker und einem schier unkaputtbaren Geländewagen (jetzt weiss ich, wofür diese Autos gut sind! Bestimmt nicht für den Kottbusser Damm!!). Noch am selben Abend können wir den Nachtbus nach Bogotá nehmen, wo wir am Montagmorgen kurz vor sieben Uhr - natürlich im Regen - müde aber zufrieden und ohne schlimmere Zwischenfälle ankommen.
Rio Magdalena - früher Sonntagabend