domingo, 26 de octubre de 2008

2. Oktober 2008 Ausweisung aus Kolumbien

Wie ich auszog, um das „Comité Solidarität mit Politischen Gefangenen“ (CSPP) in Cali kennenzulernen - und selbst zur Gefangenen wurde...

Am 1. Oktober kam ich morgens mit dem Bus in Cali an, wo ich für zwölf Tage wohnen sollte, um sowohl die Arbeit des dortigen CSPP (Comite de Solidaridad con los Presos Políticos) als auch die von NOMADESC, einer sehr interessanten Menschenrechtsorganisation in der Region, kennzulernen und zu begleiten. Ein weiteres Ziel, das sich automatischen verbinden würde mit der Begleitung dieser beiden Organisationen, war es, mich aus nächster Nähe über die Situation der Zuckerplantagenarbeiter im Valle de Cauca zu informieren, die sich seit dem 15. September im Streik befanden, um eine Verbesserung ihrer äußerst prekären Arbeitssituation zu erreichen. (siehe z.B. http://de.indymedia.org/2008/09/228296.shtml)
Am selben Tag, so erfuhr ich bald von Walter, dem Leiter des CSPP in Cali, sollte eine Demonstration dieser Zuckerplantagenarbeiter und ihrer UnterstützerInnen stattfinden, der wir uns gegen 14:30 ganz am Ende des Zuges anschlossen. Sie führte nach einigen Stunden friedlichen Gehens, ins Stadtzentrum, wo vor dem Justizgebäude die Kundgebungen stattfinden sollten. Ich ging die ganze Zeit passiv am Ende des Demonstrationszuges, machte Fotos von den Protestierenden und unterhielt mich fast durchgehend mit den verschiedenen Gewerkschaftlern von SINTRAMETAL, in deren Gebäude das CSPP sein Büro hat und mit denen wir uns zusammen auf den Weg gemacht hatten. Walter war weiter vorn gegangen, und so trafen wir uns alle erst gegen 17 Uhr im Zentrum bei der Kundgebung wieder, wo wir auf dem Boden saßen, uns unterhielten und ein wenig ausruhten. Kurz nach 17:30 Uhr brachen wir auf, um noch ein Konzert zu besuchen. Wir überquerten den Platz und bogen in eine Straße ein, wo wir noch auf jemanden warten wollten, als mich bereits einige Männer in zivil ansprachen und meinen Pass forderten. Es ging alles sehr schnell, Walter konnte noch einen der Männer nach seiner Identifikation fragen, aber schon hieß es, ich müsse ihnen ins DAS (Departamento Administrativo de Seguridad – die kolumbianische Geheimpolizei) von Cali folgen. Hier durfte mich Walter noch begleiten, so dass wir uns zu fünft plus dem Fahrer in ein Taxi quetschten. Eine wilde Telefoniererei begann, Walter mit der Vizepräsidentschaft der Menschenrechtsverteidigung in Bogotá, ich mit dem Koordinator des Red de Hermandad um zu besprechen, was zu tun sei und was ich sagen solle. Beim DAS angekommen, musste Walter vor den Toren des Gebäudes bleiben, so dass ich mit den DAS-Beamten alleine blieb. Ich wurde in ein Büro geführt, wo mir die ersten Fragen gestellt wurden: Über wen ich meinen Permiso hätte, was COS-PACC mache, warum ich hier in Cali sei, warum ich an der Demonstration teilgenommen habe, wer mein Freund Walter sei und was er mache. Ich beantwortete die Fragen, vorsichtig, aber relativ ungelogen, allerdings ohne das Red de Hermandad zu erwähnen, dass ich eine Art Volontariat bei COS-PACC mache, um zu sehen, wie sie arbeiten, weil mich die Arbeit einer NGO im Menschenrechtsbereich interessiere, dass ich an diesem Tag nach Cali gekommen sei, allerdings ohne von COS-PACC geschickt worden zu sein, sondern aus persönlichem Interesse, dass ich Walter als Freund besuchen würde und auch auf der Demonstration aus eigenem Interesse war, allerdings nicht als Teilnehmerin, sondern als Beobachterin, ich hätte vorher schon in den Medien über den Streik gelesen und mich für die Situation interessiert.
Zwischendurch kam immer wieder Oscar Vasco Soto, offenbar der Vorgesetzte meines Interviewers Camilo Torres in das Büro, um Zwischenfragen zu meiner Person und COS-PACC zu stellen, ganz offenbar war er im Nebenraum dabei, im Kontakt mit dem DAS-Büro in Bogotá mehr über mich und meinen Aufenthalt in Kolumbien auszuforschen.
Dann begann Camilo Torres, die gleichen Fragen noch einmal zu stellen, diesmal aber Wort für Wort am Computer Protokoll führend. Zwischendurch telefonierte ich weiter mit Kris, dem deutschen Koordinator in der Casa in Bogotá, sowie mit Walter. Die Anwälte von NOMADESC und vom CSPP waren schon an meinem Fall dran. Irgendwann wurde ich über Telefon darüber informiert, dass meine Anwälte draußen stünden und ich darum bitten solle, mit ihnen sprechen zu dürfen. Dies wurde mir wiederholt verwehrt. Oscar Vasco weigerte sich, mir seinen Namen zu verraten, während ich mit Walter am Telefon sprach. Erst als ich aufgelegt hatte, sagte er mir, wie er hieß. Dann wollte er mir verbieten, zu telefonieren, für einige Zeit musste ich mein Handy ausschalten, durfte es dann wenig später wieder benutzen, allerdings dabei nicht aus dem Raum und aus Camilo Torres’ direkter Hörweite gehen. Sie begannen, mir Essen anzubieten, ich solle bestellen, was ich wolle, was ich zunächst ablehnte, da ich von ihnen nichts zu essen annehmen wollte und noch hoffte, bald wieder herauszukommen und dann zusammen mit Walter und den anderen compañeros erleichtert mein Abendbrot genießen zu können. Mir wurden alle zehn Fingerabdrücke genommen.
Als es später wurde und mir schwante, dass hier ein langer, mir und meiner Freiheit nicht wohlgesonnener bürokratischer Prozess im Gange war, ließ ich mir eine Arepa mit Käse bringen. Ich kam nur dazu, sie zur Hälfte zu essen, als mir (gegen 20:30 Uhr?) ausgerichtet wurde, dass ich über Nacht im DAS bleiben müsse und mir der Appetit verging. Ich musste ihnen nach draußen folgen, und ab diesem Moment wurde es gruselig für mich. An einem Tisch vor drei oder vier Männern sollte ich aus meiner Tasche die wichtigsten Dinge wie Taschentücher, eventuelle Medikamente herausholen, die ich behalten durfte. Meine Tasche so wie mein Handy (meine SIM-Karte durfte ich vorher herausnehmen) musste ich abgeben; Schnürsenkel, Gürtel und Halsketten musste ich trotz weinendem Protest ebenfalls aushändigen. Ich solle mich beruhigen und dem kolumbianischen Gesetz gehorchen. Ungläubig wurde ich in einen gemauerten kleinen Zellenkomplex auf dem Gelände geführt, in dem es vier offene Einzelzellen mit jeweils einer Matratze und einem nackten Klo gab, davor einen Vorraum mit einem Bettgestell aus Eisen ohne Matratze, einem Waschbecken und offenen Duschen. Da ich die einzige „Gefangene“ war, durfte ich mich in dem Gesamtkomplex aufhalten, musste also nicht in eine der engen dunklen Einzelzellen, sondern blieb auf einem kleinen Polster, das sie mir brachten, auf dem Eisengestell vor den Zellen, hinter einer verschlossenen Gittertür und unter dem Himmel von Cali, der nicht durch ein Dach, sondern nur durch Gitter von mir getrennt war. Ich begann, mir die Schriften von meinen VorgängerInnen an den Wänden anzusehen, ein paar religiöse Treueschwüre an Jesus auf spanisch, Zeilen in Ivrit und recht viele für mich wie chinesisch aussehende Zeichen. Wie gerne hätte ich einen Stift gehabt, um meine Wut auf deutsch auf diesen Wänden zu hinterlassen, aber der war mir wie meine anderen Sachen abgenommen worden. So kam ich (ironischerweise) bei meinem kleinen Zellenrundgang der Wandinspizierung erst zuletzt zu einem aufgehängten Plakat der Defensoría del Pueblo, das die Festgenommenen an ihre Rechte in dieser Situation erinnern sollte. Freudig über den schriftlichen Beweis auf meiner Seite fing ich an, durch die Gittertür über den Hof zu rufen, dass jemand kommen solle. Es kam leider nur der „Wärter“, Dummheit im Gesicht, ein Spatzenhirn in Uniform und mit Gewehr. Mit ihm sollte ich, nur durch die Gittertür getrennt, meine nächste Zeit in dieser Zelle verbringen. Ich sagte ihm, dass ich mit jemandem sprechen wolle, dass auf diesem Plakat schwarz auf weiß zu lesen sei, dass gerade mindestens drei meiner Rechte gebrochen würden. Ich musste sie ihm vorlesen: Das Recht zu wissen, aus welchem Grund ich festgehalten werde und wer diese Maßnahme angeordnet hat. Das Recht, nicht ohne Kommunikation zu sein (no ser incomunicado). Das Recht, unmittelbar mit meinem Anwalt sprechen zu dürfen und zwar in Ruhe (beides extra fett gedruckt auf diesem Plakat!). Ich solle mich beruhigen, riet mir der Wärter einfältig, die Nacht sei zum Ausruhen da, zum Schlafen. Genau so sähe ich das auch, weshalb ich nicht hier sein wolle! – Ratloses Grinsen. Zum Thema meiner Rechte hatte er die Erklärung, dass es in Kolumbien dafür horarios gebe, also sozusagen Geschäftsszeiten für Menschenrechte, und jetzt sei es schon zu spät, erst morgen wieder. Es half nichts, ihm zu erklären, dass es keine Geschäftszeiten für das Gelten von Rechten gebe. Er verschwand unbeeindruckt und kehrte irgendwann zurück, um mich strahlend immer wieder zu fragen, ob mir Kolumbien gefallen habe, es sei doch schön, nicht wahr, Kolumbien. Hier an diesem Ort nicht, konnte ich ihm von meiner Seite aus nur antworten, dann begann er, Deutschland zu loben, das Land der Möglichkeiten, nicht wahr, wo es allen gut gehe. Ich erklärte ihm, dass dies nicht so sei, aber er fuhr fort, erzählte von seiner Schwester in Deutschland, und blieb dabei: Deutschland ist sehr gut, da gibt es dies hier, nicht wahr? Und zeigte mir verschwörerisch das Hakenkreuz, das auf seinem Unterarm tätowiert war. Als ich verzweifelt über diesen DAS-Angestellten mit Hakenkreuz-Tatoo nur noch „fachistas“ murmeln konnte, fragte er mich ebenso grinsend, wie zuvor bei der Frage, ob mir Kolumbien gefalle, dass mir wohl die Revolution gefalle. Von welcher Revolution er bitte spreche, entgegnete ich ihm, worauf er nichts mehr antwortete und sich irgendwann wieder zurückzog.
Ich stellte mich auf eine Nacht unter freiem Himmel auf dem Polster ein, als der Wärter und Camilo Torres an die Gittertür kamen, um sie zu öffnen (!). Wieder sollte ich ihnen folgen. Zurück in das Bürogebäude. In einer Art hell erleuchtetem Hörsaal wurde ein großes Plakat mit dem Emblem des DAS in Cali aufgehängt – „Gesetzlichkeit, Ehrlichkeit“, und ein drittes hehres Wort, das ich vergessen habe. Vor diesem Plakat wurde ich nun fotografiert, mehrmals frontal (sie haben jetzt meinen bösesten Blick in ihrem Archiv) und von beiden Seiten im Profil.
Ich wurde wieder heruntergeführt zu den Büros, wo mir das gleiche kurze Polster, das sie mir schon in der Zelle gegeben hatten, vor die Archiv-Tür auf den Boden gelegt wurde. Der schleimige Oscar Vasco, der gleichzeitig mit seinem jefe telefonierte, reichte mir eilig mein Handy, ich solle es anschalten, ich würde gleich angerufen. Kurz darauf telefonierte ich mit Alejandro, der sich mir als meinen Anwalt vorstellte, und mir erklärte, dass er die ganze Zeit im Kontakt mit der DAS-Direktorin in Bogotá sei, dass diese die Bestimmungen aber ignoriere, er könne erst am nächsten Tag um 8 Uhr zu mir, und meine Teilnahme als Ausländerin ohne entsprechendes Visum sei für sie Grund, mich auszuweisen. Sicher also, dass sie mich ausweisen würden?! Ich blieb geschockt und wieder einmal weinend in dem Büroflur, nahm noch ein Telefongespräch mit Kris und Ariadni, meiner lieben griechischen compañera in Bogotá, entgegen. Es wurde mir eine Tüte von Walter übergeben, mit Zahnbürste und Zahnpasta, Joghurt, Saft, Wasser, Keksen, Taschentüchern und einem aufmunternden Zettelchen. Ich war gerührt. Und traurig.
Eine Frau im anschließenden Büroraum war als „Wächterin“ für mich zuständig, die anderen gingen, und ich richtete mich in meinen durchgeschwitzten Klamotten auf dem Polster ohne Laken oder Decke ein, wo ich die ersten Nachtstunden schlaflos lag und fieberhaft über meine Situation nachdachte. Gegen sechs kamen die ersten fleißigen DAS-Mitarbeiter zurück ins Büro, mir wurde Tinto kredenzt und eine Arepa mit Käse angeboten – die möge ich doch so –, die ich diesmal ausschlagen konnte, um mich lieber an Walters Kekse zu halten. Das Warten auf meinen Anwalt Alejandro begann, wieder in dem Hörsaal, bewacht von Camilo Torres und einer Frau, die mich später bis zum Flugzeug in Bogotá begleiten sollte, deren Namen ich aber nicht kenne. Alejandro kam, ließ sich in der Gesellschaft der DAS-Funktionäre von mir berichten, was bisher passiert sei, wie sie mich behandelt hätten. Er teilte mir mit, dass sie noch dabei seien, die Ausweisung anzufechten. Berichtete mir, dass jetzt auch im El Tiempo der Streik der Zuckerplantagenarbeiter als gerechtfertigt anerkannt worden sei, und außerdem dass einem der Plantagenbesitzer Beziehungen zu den Paramilitärs nachgewiesen worden seien. Desweiteren, dass ein achtjähriges Mädchen auf der Demonstration „verschwunden“ sei. Er wiederholte schon wie nachts zuvor am Telefon, dass ich nicht traurig sein solle, dass sie, die KolumbianerInnen, weiterkämpfen würden. Dann ging er, und nur wenige Minuten später wurde mir in dem Büro, in dem mein Verhör stattgefunden hatte, meine Ausweisungserklärung zum Unterschreiben vorgelegt.
Señor Vasco hatte es sehr eilig. Ohne mir zu sagen, wohin es gehen sollte, sollte ich in ein Auto steigen. Ich bestand auf einer Erklärung, bevor ich einsteigen würde. Als es hieß, dass der Flughafen das Ziel sei, um mich nach Bogotá zu fliegen, konnte ich mich noch gerade so entrüsten, dass meine ganzen Sachen noch bei Walter seien. Stutzen. Ich rief Walter an, dass er mir bitte meinen Rucksack schnell zum Flughafen bringen solle. Dann ging’s los, Torres am Steuer, Vasco als Beifahrer und die Frau neben mir auf der Rückbank. Die drei unterhielten sich auf der Fahrt über Nebensächlichkeiten, über beginnende Glatzen bei den männlichen Passagieren im Wagen, und ich hasste sie dafür. Auf dem Flughafen in Palmira weiteres Warten im Büro des DAS. Einer der Männer dort erdreistete sich, mir zu sagen, welch schöne Augen ich hätte, und mich die ganze Zeit anzulächeln. Warten auf Walter mit meinem Rucksack (ich durfte weder Walter noch meinen Rucksack sehen; meine DAS-Begleiter checkten den Rucksack sofort nach Bogotá ein). Noch ein paar Telefongespräche mit Kris, Chello, Walter.
Camilo Torres und die erwähnte Frau begleiteten mich im Flug nach Bogotá, Oscar Vasco fuhr zurück nach Cali.
In Bogotá angekommen wurde ich nach einigem Hin und Her und telefonischem Einschalten eines Beamten der deutschen Botschaft doch noch zu Kris und den anderen durchgelassen, die mit allen meinen Sachen, die noch in der Casa in Bogotá waren und von Ariadni für mich in all der Eile eingepackt worden waren, im DAS-Büro auf mich warteten. Alles ging schnell, ich packte eilig alle meine Sachen um, verteilte sie auf Gepäck und Handgepäck, während die anderen, u.a. der Anwalt Jorge Molano, den ich auf der Begleitreise in den Sur de Bolívar bereits kennenlernen durfte, die restlichen Dinge klärten, von denen ich nicht mehr viel mitbekam. Mein Flugticket, das ich für den 14. Oktober nach Lima gekauft hatte, um von Peru aus noch einmal ein Visa de Cooperante für Kolumbien zu beantragen, wurde für sofort umgebucht, ganz plötzlich musste ich los, konnte noch zwei Erklärungen für das Red de Hermandad unterschreiben und alle umarmen (ich hoffe, sie haben meine Dankbarkeit für alles spüren können), und wenige Minuten später saß ich allein im Flugzeug. Beim Start sah ich ein letztes Mal die Hochhäuser der Septima und konnte noch einmal die Weite der Ciudad Bolívar aus der alles relativierenden Höhe bestaunen.
Neunzehneinhalb Stunden hat der kolumbianische Staat gebraucht, um mich nach 31 Tagen Aufenthalt für mindestens sieben Jahre aus dem Land zu schaffen.

Ich danke allen compañeras und compañeros des Red de Hermandad, die sich so für mich eingesetzt haben, die ich kennen lernen durfte, für ihre Hilfe, Unterstützung und Solidarität in diesen Stunden und wünsche ihnen aus ganzem Herzen Kraft und Mut in dem Kampf um ihre Rechte in einem Staat, der diese Rechte nicht schützt, sondern im Gegensatz missachtet und verletzt!